Das neue Leben des Sepp Bartl

Vom Todgeweihten zum Marathonläufer - nie aufhören

von Ludwig Simeth - OVB vom Mai 2002

Ein Mann mit Perspektive: Der angehende Bankkaufmann Sepp Bartl auf seinem Rennrad. Heute vor acht Jahren ereignete sich der schwere Unfall, der sein Leben schlagartig verändert hat.
Foto: Reisner
Riedering - 15. Mai 1994: Ein junger Mann liegt bei Söllhuben lebensgefährlich verletzt im Wald.„Mit dem Ableben ist zu rechnen“,schreibt der Notarzt ins Protokoll.Der 17-jährige Zimmererlehrling,der Minuten zuvor mit dem Moped schwer verunglückt war, gewinnt zwar den Wettlauf gegen den Tod.Doch Sepp Bartl, so heißt er,liegt im Koma. Falls er daraus wieder erwachen sollte, befürchten die Ärzte, dann mit einem Gehirnschaden.Und das rechte Bein müsse total-amputiert werden. Heute ist der achte Jahrestag des Unfalls. Sepp Bartl feiert ihn wie einen zweiten Geburtstag - und nimmt seine Zukunft in die Hand.
Es gibt traurige Geschichten und solche, die hoffnungsfroh stimmen. Die Geschichte von Sepp Bartl beginnt dramatisch mit einer persönlichen Katastrophe - und nimmt eine wundersame Wendung zum Guten, die Mut macht. Und genau darum geht es dem 25-Jährigen. Bartl will Leuten, die ähnlich wie er vom Schicksal getroffen wurden, „Mut machen" und „Kraft geben" - und er will all denen, die um ihn gezittert, für ihn gebetet, ihm geholfen und begleitet, ihn geheilt, therapiert und unterrichtet haben, „ein Dankeschön sagen und das Vertrauen zurückzahlen".

Dass Bartl heute wieder sprechen, gehen, radeln, laufen kann - nicht nur für Verwandte, Freunde und Bekannte ist es ein Wunder. Der passionierte Läufer hat sogar das gepackt, wovon viele Menschen nur träumen. Vor zwei Jahren in München ist er 42 Kilometer am Stück gelaufen. „Das Glücksgefühl nach einem Marathon hält ein halbes Jahr an“, schwärmt er. Ein weiterer Meilenstein für den Riederinger: Sein erster Berglauf, den er vor wenigen Tagen absolviert hat. In 80 Minuten bewältigte er die 7,5 Kilometer und 900 Höhenmeter vom Unterwössener Rathaus zum Hochgernhaus. Doch Leistung bringt der gläubige Christ, der täglich auf seinem Rennrad unterwegs ist Und dreimal pro Woche im Fitness-Studio trainiert, nicht nur im Sport. 1999 bestand er nach dreijähriger Ausbildungszeit bei der Firma Eder in Tuntenhausen und an der Berufsschule II in Rosenheim die Prüfung zum Einzelhandelskaufmann. Wie sich zeigen sollte, war es aber der falsche Beruf. Bartl: „Beim Stehen und Gehen läuft mein Fuß mit Blut voll und schwillt an. Deshalb sah er sich nach Tätigkeit um, bei, der er die Arbeit überwiegend im Sitzen erledigen kann – und wurde bei der Raiffeisenbank. Riedering fündig, wo er sich derzeit zum Bankkaufmann ausbilden lässt. „Ich habe mir beruflich und sportlich Respekt verschafft“, ist der 25-jährige stolz. Sein nächstes großes Ziel: die Gesellenprüfung im nächsten Jahr. „Und vielleicht nehme ich 2003 auch meinen ersten Triathlon in Angriff.“ Vor acht Jahren war das ganz anders: Es ging nur ums
Überleben. Weil ihn ein Auto geblendet hatte, prallte Bartl mit seinem Moped gegen einen Baum, trug ein 'Schädel-Hirntrauma davon und blieb bewusstlos liegen. Zudem war im Bein 'eine Hauptader gerissen, das Blut floss in Strömen ins Gewebe und nach außen. Nur weil der Schwerstverletzte mit dem Kopf, bergab lag, wurde sein Gehirn trotz des enormen Blutverlustes noch ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Erst nach vier Wochen erwachte Bartl damals aus dem Koma - mit einer kompletten Sprachlähmung und einem kaputten Bein. Eineinhalb Jahre wurde er im Behandlungszentrum Vogtareuth und in Baden-Württemberg behandelt und betreut. Rückschläge wie Entzündungen am Bein und ein psychisches Tief nach der Reha-Entlassung im November 1995 hat er überwunden. Das Motto dabei: „Nie aufhören!" Heute steht er wieder mitten im Leben. Bartl ist Mitglied im Trachtenverein, in der Feuerwehr, Landjugend und Jungbauernschaft. „Leidenschaftlich gern“ hilft der angehende Bankkaufmann im elterlichen Milchviehbetrieb in Mühlham, etwa bei der Stallarbeit. Dabei wird Bartl, der auch acht Bienenvölker zu Hause hat, nachdenklich: „Dass viele Landwirte zum Aufhören gezwungen werden, tut mir sehr weh." Auch wenn sich Bartl längst nicht mehr behindert fühlt, bis l Uhr nachts büffelt und um 5 Uhr früh schon wieder auf dem Rennrad sitzt - „meine 70-prozentige. Schwerbehinderung bleibt Fakt". Deshalb gilt sein Dank besonders den hilfsbereiten Kollegen bei der Raiffeisenbank Riedering und Geschäftsführer Michael Teubner, „der viel Vertrauen in mich gesetzt hat“. Dass die Geschichte von Sepp Bartl eine Geschichte ist, die Mut macht, weiß auch ein Priener Arzt. Vor kurzem, beim Chiemseelauf, hat der Orthopäde Bartl gefragt, ob er dessen Fuß fotografieren darf. Das Ziel: Die Bilder sollten andere Patienten Hoffnung und Auftrieb geben.